Lesedauer: 12 min –
Man sagt ja, dass man verpassten Gelegenheiten nicht hinterhertrauern soll, weil die nächste ja bald kommt. Damit ist meist gemeint, dass man sich mental nicht damit belasten soll. Im Umfeld der Börse kommt noch dazu, dass man nicht der verpassten Investment-Gelegenheit hinterherjagen sollte – weil man dann meist zu teuer einsteigt um letzten Endes Geld zu verlieren.
Andererseits kann man im Rückblick natürlich auch aus Fehlern, Verlusten und verpassten Chancen lernen, wobei man unterscheiden muss, ob man zwar aus damaliger Sicht die richtige Entscheidung getroffen hat und dann einfach Pech hatte oder ob man wider besseren Wissens (Wissen das man tatsächlich hatte oder mit vertretbarem Aufwand hätte haben können) falsch gehandelt hat. Diese Unterscheidung ist zwar schwierig, gerade auch im Nachhinein, aber für den Lernprozess umso wichtiger. Daher will ich von meinen größten verpassten Investment-Chancen berichten und sie reflektieren.

Aktien in 2010
Mein richtiger Berufseinstieg war in 2009, vorher habe ich nur von kleinen Gelegenheitjobs in der PHP/Perl-Programmierung gelebt bzw. studiert. Zu diesem Zeitpunkt gab es ja bekanntlich die Finanzkrise – der Börse ist massiv abgestürzt und die Stimmung an den Finanzmärkten war katastrophal. Es wurde von der Kernschmelze des Finanzsystems gesprochen; es war zu befürchten, dass die Insolvenz der Lehman Brothers weitere Banken und Unternehmen in den Abgrund ziehen würde und dass das globale Interbanken-System kollabiert. Dennoch hatte ich in 2010 und 2011, als ich die ersten Ersparnisse aufgebaut habe, mich sehr für die Börse interessiert und mehrere Bücher zum Thema “Aktien” gelesen. Leider die falschen, wie ich wohl sagen muss. In den Jahren haben sich die Börsenkurse zu einem großen Teil wieder erholt und die Bücher, die ich las, stammten tendenziell aus der Feder von Crash-Propheten. Deren Argumentation erscheint meist nachvollziehbar und zwingend – und die vom Jahr 2009 ja auch noch recht bekommen haben.
Ich nahm nach der Lektüre also an, dass die Börsen nochmals einbrechen werden, vielleicht sogar stärker als zur Finanzkrise in 2009. Für mich ein Grund in den beiden Folgejahren praktisch keine Aktien zu kaufen, sondern cash zu halten und einfach nur Geld zu sparen. Ich habe zwar ein Konto bei einem Aktienbroker eröffnet, aber nur ca. 10 Prozent (soweit ich es rekapitulieren kann) meiner Ersparnisse in Aktien angelegt – und dann auch noch in Value-Aktien, da diese laut vieler Crash-Autoren ja “sicherer” seien.
Es hat leider bis 2015 gedauert bis, ich erkannt habe, dass zwar trotz zwischenzeitlicher Europakrise mit ihren Aktienkorrekturen kein wesentlicher Crash von 50% oder mehr stattfinden wird, auf den ich bis dahin zum Einstieg gewartet habe. Ab 2015 bin ich dann stärker in Aktien gegangen und habe konstruktivere Bücher zum Thema Börse gelesen. Insbesondere habe ich angefangen mich mit quantitativer Analyse zu beschäftigen und die Vorteile des “mechanischen” Investierens erkannt. Dennoch ist meine Aktienquote niedrig geblieben, da mein Vertrauen in die Börse nicht wirklich gewachsen ist und ich die makroökonimischen Zusammenhänge des Niedrigzinses noch nicht wirklich verstanden bzw. verinnerlicht hatte.
In den Jahren 2010 und 2011 hatte ich natürlich noch keine großen Ersparnisse, aber wenn ich seitdem kontinuierlich, z.B. in einem Sparplan des MSCI World investiert hätte, hätte ich nach meinen Überschlagsrechnungen mein Ziel “Finanzielle Unabhängigkeit” (www.mcgeld.de/2021/05/10/3-stufen-der-finanziellen-ziele-oder-wie-viel-geld-ist-genug) heute fast schon erreicht. Das ist etwas frustrierend, aber ich kann zumindest den Schluss daraus ziehen, dass ich generelle weniger Barmittel halten sollte, sondern lieber die Investmentquote erhöhe und mich mit dem Gedanken anfreunde Korrekturen und Crashs einfach auszuhalten.
Wohnung in München / Schwanthalerhöhe
Im Jahr 2011 bin ich wieder zurück nach München gezogen, wo ich bereits vorher für einen Teil meines Ingenieur-Studiums gelebt habe. Auf der einen Seite hatte ich bereits erste Ersparnisse, die ich ja hauptsächlich in cash hielt und nicht investiert hatte und auf der anderen Seite hatte ich einen guten Arbeitsvertrag bei einem Münchner Traditionsunternehmen. Was lag also näher als eine Eigentumswohnung in München zu kaufen statt eine Unterkunft zu mieten? Das Viertel meiner Wahl war die Schwanthalerhöhe, da ich von dort aus nah an der Innenstadt bin, meinen Arbeitgeber leicht erreichen konnte und das Viertel zwar alternativ ist, aber nicht so Schicki-Micki wie Schwabing und nicht so Hipster wie das Glockenbach-Viertel. Was mir damals vor allem Sorgen machte, war die notwendige Kreditaufnahme für den Wohnungskauf. Meine Ersparnisse reichten natürlich nicht aus und München galt auch schon damals als teuerste Stadt Deutschlands. Meine Überlegung war entweder eine möglichst kleine, billige Wohnung zu kaufen oder eine WG-taugliche Wohnung um dann ein oder mehrere Zimmer einzeln zu vermieten (und selbst in einem oder zwei Zimmern zu wohnen).
Hört sich eigentlich nach einem guten Plan an, oder? Ich verwarf ihn aber, da ich damals zu viel Angst vor einem Kredit hatte. Schulden sind ja etwas schlechtes, so hatte ich es seit Kindheitstagen gehört und es könnte ja vieles dazwischenkommen: Arbeitslosigkeit, stark fallende Immobilienpreise (so dass die Bank zusätzliche Sicherheiten fordern könnte, die ich nicht habe), teure Reparaturen an der Eigentumswohnung oder randalierende Mitbewohner/Untermieter. Prinzipiell sind das alles mögliche Risiken, aber ich hatte kein Gefühl dafür, dass sie eigentlich sehr unwahrscheinlich und auch größtenteils händelbar waren. Hatten nicht auch erst unbezahlte Immobilienkredite in den Vereinigten Staaten die Finanzkrise ausgelöst? Das war für mich der vermeintlicher Beweis, dass sich viele beim Wohnungskauf überschätzen und da wollte ich nicht dazugehören.
Außerdem hatte keiner meiner Freunde je eine Wohnung gekauft und schon gar nicht tw. untervermietet um die Raten leichter abbezahlen zu können, so dass ich die Idee zwar rechnerisch plausibel, aber sonst “irgendwie merkwürdig” fand. Ein weiterer Zweifel war die Tatsache, dass München im Vergleich zu anderen Städten so teuer war. Ich vermutete, dass sich die Immobilienpreise zwischen München und anderen Großstädten über den Lauf von ein paar Jahren angleichen müssten. Eine Fehlannahme, ja, aber hörte sich damals für mich plausibel an.

Inzwischen weiß ich, dass die Risiken beim Immoblienkauf überschaubar sind, wenn man auf die Lage und Qualität der Wohnung achtet, da ja den Schulden bei der Bank die Wohnung selbst als Sicherheit gegenübersteht. In einer Zwangslage wird die Wohnung von der Bank verkauft, zwar wahrscheinlich mit Verlusten wie z.B. 20%, aber man wird damit den Großteil der Schulden los und damit wird die Restschuld überschaubar.
Dass die Immobilienpreise, auch gerade in München, zwischenzeitlich explodiert sind, ist ja allgemein bekannt. In 2011 war das nicht abzusehen, aber als sichere Kapitalanlage haben sie schon damals gegolten. Letzlich habe ich mich nicht genügend über den Kauf und Besitz von einer Immobilie informiert, denn sonst hätte ich wahrscheinlich eine Wohnung in der Schwanthalerhöhe/München gekauft. Stattdessen habe ich eine Mietwohnung genommen und gespart (und die Inflation an meinen Ersparnissen knabbern statt sie durch einen Immo-Kredit wie einen Rückenwind wirken lassen).
Hier nun die frustrierende Rechnung über den verpassten Gewinn:
Ich habe mir damals 50 – 100 qm Wohnungen angesehen, die einen qm-Preis von 2.500 – 3.000 Euro/qm hatten (unglaublich aber wahr: So günstig war München vor 10 Jahren). Nehmen wir an, ich hätte, weil ich wenig Schulden machen wollte, eine kleine Wohnung mit 50 qm für 2.500 Euro/qm gekauft: Sie hätte damals 125.000 Euro gekostet – um die Rechnung einfach zu machen, gehen wir davon aus, ich hätte sie zu 100% finanziert und vernachlässigen die Zinskosten.
Der qm-Preis in München-Schwanthalerhöhe beträgt zur Zeit sage und schreibe ca. 8.500 Euro! Sie haben sich zumindest in diesem Stadtviertel ca. verdreifacht. Aus den 125.000 Euro wären also 425.000 Euro geworden – ein Gewinn von 300.000 Euro (und ein Teil der ursprünglichen 125.000 Euro wären auch getilgt). Inzwischen wäre auch die 10-Jahresfrist für die Spekulationssteuer um, d.h. die Wohnung könnte steuerfrei verkauft werden.
Bei einer größeren Wohnung von 70 oder 100 qm hätte ich damit die finanzielle Unabhängigkeit heute schon erreicht. Sehr, sehr frustrierend, aber wahr. Und ich traue mich immer noch nicht eine Wohnung in München zu kaufen, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass die Preise weiterhin steigen. Inzwischen habe ich zwar zwei Wohnungen, die ich vermiete, aber eben nicht in München. Ich vertraue eben eher einem höheren Mietfaktor als auf künftigen Preissteigerungen und damit ist in München kein Geschäft zu machen.
Bitcoin in 2013
Es hört sich zwar komisch an, aber da mir Aktien und Immobilien zu riskant waren, habe ich mich auf die Suche nach alternativen Anlagen gemacht und habe dabei eine neue “Internetwährung” entdeckt: Bitcoin. Diese stieg angeblich unaufhaltsam im Wert und deshalb habe ich mir schon im Jahre 2013 einen Account auf bitcoin.com angelegt. Allerdings stellte ich dort fest, dass es sehr schwierig ist Bitcoin zu kaufen. Es war nicht wie bei einem Aktienbroker, bei dem ich nur einen Namen oder WKN eingeben und “kaufen” klicken muss. Ich sah die damaligen technischen Hürden beim Bitcoin-Kauf und wusste ich könnte sie zwar als studierter Ingenieur sicherlich nehmen, aber ich dachte mir, für den Otto Normalanleger werden sie zu hoch sein. Wegen dem umständlichen Erwerb würde sich der Bitcoin nicht durchsetzen und es macht keinen Sinn in ihn zu investieren. Welch eine Fehl-Annahme!!
Der Bitcoin-Preis explodierte von Anfang 2013 bis Ende 2013 von ca. 10 US-Dollar auf 1.000 US-Dollar. Ich interessierte mich ungefähr Mitte 2013 dafür, als der Bitcoin bei ca. 100-200 US-Dollar lag.
Hätte ich damals, als der Bitcoin 100 US-Dollar gekostet hat, 1000 Euro in Bitcoin angelegt, dann wären daraus ca. 500.000 Euro geworden. Ja, ja, hätte, hätte, Bitcoin-Kette!
Wobei es natürlich auch zu bedenken gilt, dass ich den Betrag wegen der enormen Volatilität wahrscheinlich nicht komplett gehodlt hätte, sondern immer wieder Gewinnmitnahmen oder einen Totalverkauf durchgeführt hätte. Daher lässt sich diese verpasste Chance nicht ganz mit den anderen beiden Chancen vergleichen. Aktien und Immobilien sind bewährte Investments, die ich mutmaßlich über die Jahre gehalten hätte (bei einer finanzierten Wohnung läuft ja auch ein Kredit, dessen vorzeitige Kündigung Kosten verursacht) – Bitcoin hätte ich vermutlich irgendwann verkauft und mit einem kleineren Gewinn gelebt. Oder sogar mit einem Verlust verkauft – das ist schwer im Nachhinein zu sagen.
In 2017 bin ich dann für ein halbes Jahr tatsächlich mit einem kleinen Betrag in Bitcoin und ein paar Altcoins gegangen und habe sie mit einer guten Rendite (ca. 250% vor Steuern) verkauft. Die zwei Gründe: Bitcoin hatte gerade wieder einen Lauf und der Kauf war in 2017 über Bitpanda sehr einfach möglich.
Fazit
Verdammt. Warum war ich so blöd? Was ich mir zu Gute halten kann, ist, dass ich generell nicht gerne “zocke” und deshalb wahrscheinlich nicht nur diese Chancen verpasst habe, sondern deshalb auch einigen Fallen entgangen bin.
Ich sehe einerseits ein, dass ich etwas risikofreudiger werden muss und mich über potentielle Investments mehr und vor allem aus mehr unterschiedlichen Blickwinkeln informieren muss (und nicht nur die Bücher von Crash-Autoren lesen sollte). Andererseits sind inzwischen fast alle Assets im Preis so sehr gewachsen, dass sie alle das erhöhte Risiko eines Rückgangs oder Korrektur haben. Das sehe ich vor allem bei Aktien und Immobilien, bei denen ein gewisses Regulierungsrisiko seitens des Gesetzgebers dazukommt. Bitcoin selbst trägt meines Erachtens unabhängig von aktuellen Preisanstiegen ein permanentes Korrektur-/Crash-Risiko, da es keinen regelmäßigen Cashflow erzeugt und daher noch schwieriger zu bewerten ist.
Ich hoffe, Du musst diese Fehler nicht selbst machen um daraus zu lernen oder dass sie Dich wenigstens unterhalten haben.
Hast Du auch schon mal solche Fehler gemacht – und wie gehst Du mit ihnen um? Du kannst es mir gerne in die Kommentare schreiben.
Frohes Investieren,
Sebastian