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Wahrscheinlich hat schon jeder mal mit Freunden oder mit der Familie diskutiert, wie viel Geld er gerne hätte oder ab welchem Lottogewinn er aufhören würde zu arbeiten. Oft hört man, dass man mit 1 Million Euro heute doch gar nicht mehr ausgesorgt hat und auf der anderen Seite, dass eine Erbschaft von 50.000 Euro fantastisch sei und gleich für einen BMW ausgegeben wird.
Wenn wir versuchen rationaler an die Fragestellung heranzugehen, könnten wir fragen, was verdient oder besitzt der durchschnittliche Deutsche. Oder die oberen 10% oder gar das obere 1%. Aber wie können wir uns sicher sein, dass wir das Ziel dann nicht zu hoch ansetzen und auf dem dorthin Weg frustriert aufgeben. Oder das Ziel zu niedrig ansetzen und zu frühzeitig den Job kündigen um zu merken, dass unser Kapital über die Zeit schrumpft. Sicher hat jeder auch etwas andere Ziele, der eine will wie ich ohne feste Anstellung mit seiner Familie leben können, ein anderer möchte eine Aufstockung zur gesetzlichen Rente oder ein Dritter einfach nur einen teuren Sportwagen oder sich mehr Reisen leisten können.
Trotzdem können wir versuchen, die Ziele rationaler, objektiver und allgemeiner zu formulieren. Am besten gefällt mir hier die dreiteilige Aufteilung, die sich vor allem an den Lebenshaltungskosten orientiert und deswegen halbwegs genau mit konkreten Summen beziffern lässt:
- 1. Stufe: Finanzielle Sicherheit
- 2. Stufe:Finanzielle Unabhängigkeit
- 3. Stufe:Finanzielle Freiheit
1. Stufe: Finanzielle Sicherheit

Was lässt uns – aus finanzieller Sicht – denn schlecht schlafen? Wenn wir nicht wissen, ob wir die defekte Waschmaschine reparieren lassen oder ersetzen können. Wenn wir das Gefühl haben, im Falle einer Arbeitslosigkeit in ein finanzielles Loch zu fallen: Nicht zu wissen, ob wir uns die Miete und Nahrung bis zum nächsten Job leisten können oder gar noch finanzielle Verpflichtungen wie Kreditraten zu leisten haben.
Wenn wir aber genügend Geld haben, dass uns diese Fragen nicht mehr sonderlich sorgen, können wir es finanzielle Sicherheit nennen.
Die zu ersetzende Waschmaschine ist einer eher kleiner Posten im Vergleich zu den laufenden Lebenshaltungskosten wie die Miete und Nahrung. Und gehen wir davon aus, dass wir im WorstCase 6-12 Monate benötigen um im Falle einer Arbeitslosigkeit eine neue Anstellung zu finden (oder auch mit einer neuen Selbstständigkeit Geld zu verdienen) – dann können wir einfach berechnen, ab welche Rücklage wir eine finanzielle Sicherheit erreicht haben:
Betrag für finanzielle Sicherheit = 12 x monatliche Lebenshaltungskosten
Wenn Du jung und ohne Familie bist, reicht sicher auch der Faktor 6 statt 12 aus.
Hierzu musst Du natürlich Deine monatlichen Lebenshaltungskosten kennen. Wenn Du hier Deine persönliche Zahl nicht kennst, solltest Du Deine Ausgaben ohne “Luxusausgaben” wie z.B. Urlauben und Restaurantbesuchen mal über ein paar Monate messen. Ein erster Anhaltspunkt ist für (West-)Deutschland:
- Single: 1500 Euro
- Ehepaar ohne Kinder: 2500 Euro
- Ehepaar mit einem Kind 3000 Euro (+ 500 Euro pro weiterem Kind)
Tatsächlich geben wir – also meine Frau, mein Sohn und ich – pro Monat ca. 3000-3500 Euro aus. Wenn wir im Falle einer Arbeitslosigkeit von den Ersparnissen leben müssten, wären 3000 Euro ausreichend (wahrscheinlich reichen sogar 2500 Euro, wenn wir ein paar Einschränkungen in Kauf nehmen würden).
D.h. meine Familie benötigt eine Rücklage von 12 x 3000 Euro = 36.000 Euro um finanziell sicher zu sein.
Diese Rücklage sollte natürlich möglichst sicher angelegt werden, damit sie nicht im Fall der Fälle gerade einen Rücksetzer wegen einer Aktienkorrektur hat. Der Betrag sollte also nicht in Kryptowährungen, (spekulative) Aktien oder ähnliches gehalten werden. Es bietet sich an, mindestens die Hälfte in cash zu halten und den Rest in z.B. sicheren Unternehmensanleihen zu parken.
Wenn Du diese Rücklagen noch nicht hast, dann solltest Du den Fokus darauf legen, diese zügig zu erreichen. Nutze vor allem Deine Arbeit und erhöhe die Sparquote oder nimm temporär einen zweiten Job an, dessen Einkommen Du komplett auf Seite legst. Es macht wenig Sinn, z.B. aus 5000 Euro Rücklage mit Hilfe von Aktien o.ä. auf eine Summe von 36.000 Euro zu kommen: Bei 7% jährlichen Aktiengewinnen, die ungefähr dem langjährigen Durchschnitt von Aktienrenditen entsprechen , müsstest Du 29 Jahre warten (bei steuerlicher Berücksichtigung sogar noch länger)! Das ist viel zu lange. Wenn Du hingegen 500 Euro pro Monat aus Deinem jetzigen Job auf Seite legen kannst und noch einen 450-Euro-Job annimmst, hast Du die finanzielle Sicherheit nach 2 Jahren und 9 Monaten erreicht! Auch wenn es im Allgemeinen absolut Sinn macht, sich mit Investitionen und Anlagen zu beschäftigen, macht es im Speziellen erst Sinn, wenn Du auch eine genügend hohe Summe zum investieren hast, da Du mit regulärer Arbeit viel schneller diesen Grundstock schaffst.
Wenn Du diese finanzielle Sicherheit schon erreicht hast, dann kannst Du Dich der zweiten Stufe widmen:
2. Stufe: Finanzielle Unabhängigkeit

Du liest sicher nicht meinen Blog, weil die 1. Stufe – finanzielle Sicherheit – Dein großes Ziel ist. Mit der 2. Stufe wird es schon deutlich interessanter. Finanzielle Unabhängigkeit lässt sich ebenfalls relativ einfach definieren:
Die Rendite Deiner Investitionen deckt Deine Lebenshaltungskosten.
Wieder stehen also die Lebenshaltungskosten im Mittelpunkt. Eine genaue Rendite Deiner (künftigen) Anlagen lässt sich im Hier und Jetzt nicht exakt bestimmen, aber als Richtwert können wir 5% nach Steuern bzw. 7% vor Steuern annehmen, da 7% der langjährige Durchschnitt vieler Aktienindezes ist und relativ sicher erreicht werden kann. Dabei ist natürlich zu bedenken, dass es auch Jahre geben kann, die eine deutliche niedrigere oder gar negative Rendite haben kann. Hier macht es Sinn auf Anlagen mit relativ sicheren Cash-Flow zu setzen bzw. einen zusätzlichen Puffer (z.B. den Betrag aus der 1. Stufe zur finanziellen Sicherheit) vorzuhalten.
Betrag zur finanziellen Unabhängigkeit = 12 x mtl. Lebenshaltungskosten / 5%
Wenn Du wie in meinem Fall bereits ein passives Einkommen oder Mieteinnahmen hast, dann kann das natürlich angerechnet werden:
= 12 x (mtl. Lebenshaltungskosten – mtl. passives Einkommen) / 5%
Ich erhalte ca. 500 Euro netto/Monat aus zwei vermieteten Wohnungen. D.h. die Rechnung ist für unsere Familie wie folgt:
12 x (3000 Euro – 500 Euro) / 5% = 600.000 Euro
Zwei wesentliche Erkenntnisse habe ich dabei:
- Die berühmte Million ist gar nicht notwendig um finanziell unabhängig zu sein.
- Da ich ca. die Hälfte des Betrages bereits habe, kann ich nun ausrechnen, wann ungefähr ich und meine Familie die finanzielle Unabhängigkeit erstmals erreichen werde (aus den 5% jährlichen Wachstum + der Sparquote aus meiner Arbeit): ca. 7 Jahre. Das ist doch mal motivierend – innerhalb von 7 Jahren die finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen. Wenn ich durch geschicktes Investieren, ein höheres jährliches Wachstum erreiche, verkürzt sich der Zeitraum weiter – das motiviert mich um so mehr.
Auch wenn ich nun die 36.000 Euro aus der 1. Stufen zur finanziellen Sicherheit dazu addiere (um z.B. Schwankungen am Aktienmarkt auszusitzen), verlängert sich der Zeitraum nur um ca. 6 Monate.
3. Stufe: Finanzielle Freiheit

Mit der 2. Stufe der finanziellen Unabhängigkeit könnte man nun (theoretisch) seinem Hamsterrad kündigen und von den Renditen leben. Ab 600.000 Euro wäre es für meine Familie möglich – allerdings sind dann keine “großen Sprünge” möglich. Ich müsste immer wieder die Investitionen nachjustieren und das Risiko tragen, dass wir keine jährlichen 5% dauerhaft erreichen. Mit der finanziellen Freiheit übersteigen schließlich die Renditen die Lebenshaltungskosten und bieten zusätzliche Sicherheit, Luxus und etwas Spielgeld für weiteres Portfolio-Wachstum. Die konkrete Summe lässt sich nicht eindeutig bestimme, aber mit ein paar weiteren Annahmen zumindest schätzen. Folgende Annahmen können wir also treffen:
- Statt nur die Lebenshaltungskosten durch die Rendite zu erwirtschaften, sollen hier die doppelten Lebenshaltungskosten erwirtschaftet werden, also in meinen Fall 6000 Euro / Monat. Mit diesem Betrag sind viele zusätzlichen Konsumausgaben möglich: Größere Wohnung, schöneres Auto, mehr Reisen und evtl. bessere Nachhilfe-Lehrer für meinen Sohn 🙂
- Statt 5% nach Steuern sollen auch 3% ausreichen, welche mit sichereren und schwankungsärmeren Anlagen erreichen lässt.
Damit lässt sich die Formel wieder leicht berechnen:
Betrag zur finanziellen Freiheit = 12 x 2 x mtl. Lebenshaltungskosten / 3%
Auch hier können die bereits vorhandenen passiven Einnahmen oder Mieteinnahmen eingerechnet werden:
= 12 x 2 x (mtl. Lebenshaltungskosten – mtl. passives Einkommen) / 3%
Das ergibt für meine Familie also 12 x 2 x (3000 Euro – 500 Euro) / 3% = 2.000.000 Euro
2 Millionen Euro sind natürlich eine ganz andere Hausnummer als die 600.000 Euro für die Stufe 2 (finanzielle Unabhängigkeit). Wenn ich in überschaubarer Zeit wirklich finanziell frei werden will, reichen meine Sparrücklagen und ein das durchschnittliche Aktienpreiswachstum von 5% nicht aus. Das demotiviert mich aber nicht, da für mich die 2. Stufe – finanzielle Unbhängigkeit – deutlich wichtiger ist und ja auch nicht alles schwarz oder weiß ist. Ich denke, mit einem Kompromiss von 1 Million Euro wäre bereits ein gutes Leben ohne Angestellen-Job bereits möglich, zumal die angenommenen 3% Rendite meines Erachtens auch in Zukunft übertroffen werden können.
Optimierungen
Wie Du an Hand der Formeln für die 2. Stufe: finanzielle Unabhängigkeit und 3. Stufe: finanzielle Freiheit sehen kannst, gibt es bereits hier zwei Stellschrauben um diese Ziele zu erreichen:
- Lebenshaltungskosten: Wenn Du mit niedrigen Lebenshaltungskosten auskommen kannst, erreichst Du Deine Ziele früher. Die Lebenshaltungskosten hängen vor allem von Deinem Lebensmittelpunkt ab: In der Stadt ist es teurer auf dem Land, in Deutschland ist es teurer als in vielen anderen Ländern. In anderen Ländern wie Thailand (schön, aber fern) oder Ukraine (etwas näher), kannst Du bereits mit 500 – 1000 Euro Lebenshaltungskosten zurechtkommen. Wenn Du Dich noch nie über Auswanderungsmöglichkeiten informiert hast, solltest Du es vielleicht heute tun?
- Höhere Renditen: 3% bzw. 5% sind meiner Meinung nach ziemlich konservativ. Bsp: Mit einer vermieteten AirBnB-Wohnung lassen sich relativ sicher 15% Rendite erwirtschaften. Wenn Du die Vermietung dabei weitgehend automatisierst/delegierst, hast Du auch kaum einen zeitlichen Aufwand dafür.

Zwei weitere Stellschrauben, die sich aus den Formeln nicht ergeben sind folgende:
- Mehr bzw. schneller Geld verdienen: Durch eine Gehaltserhöhung, Job-Wechsel oder Zweitjob (z.B. nebenbei selbständig) kannst Du zwar den Zielbetrag zu Erreichung von Stufe 2 oder 3 nicht senken, aber natürlich trotzdem schneller erreichen.
- Steueroptimierung: Wenn Du Dein Vermögen entweder in eine steuersparende Kapitalgesellschaft auslagerst oder in ein steuer-freundliches Land auswanderst, kannst Du mit 6-7% für Stufe 2 (Finanzielle Unabhängigkeit) bzw. 4% für Stufe 3 (Finanzielle Freiheit) rechnen. Dadurch verkürzt sich Deine Zeit bis zum Erreichen Deiner Ziele entsprechend.
Hilft Dir diese Aufgliederung von finanziellen Zielen? Oder siehst Du es etwas anders? Dann kannst Du gerne eine Kommentar dazu schreiben.
Frohes Investieren!
Sebastian